Eines der Highlights des START-Jahres ist das Seminar zur politischen Bildung in Berlin. Dieses Jahr reisten 29 StipendiatInnen aus ganz Österreich mit ihren Landeskoordinatorinnen und Unterstützung des Alumnis Ara Karapetyan am langen Wochenende um Christi Himmelfahrt gemeinsam in die deutsche Hauptstadt. Mit dabei waren auch wieder Bill und Maude Dearstine, die StifterInnen des START-Programms in Vorarlberg. An drei Seminartagen konnten die SchülerInnen sowohl in Workshops als auch im Stadtbild die Geschichte Deutschlands vom Dritten Reich, über die DDR und die Teilung Deutschlands bis hin zur parlamentarischen Demokratie heute nachvollziehen.
Am Donnerstag besuchten wir das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen, das heute eine Gedenkstätte mit Museum ist. Dort wählten StipendiatInnen zwischen zwei Workshops: Einer beschäftigte sich mit dem Lageralltag der Häftlinge des Konzentrationslagers, der andere mit Kunst und Kultur als Überlebensformen. Beide begannen mit einer Führung durch das Gelände, bei denen die WorkshopleiterInnen sowohl allgemein über das Dritte Reich, als auch detailliert über das Konzentrationslager als historischen Ort erzählten. Anschließend arbeiteten die StipendiatInnen in Kleingruppen selbstständig zu ihren Themenschwerpunkten und präsentierten sich gegenseitig ihre Ergebnisse. Sowohl der Ort an sich, als auch die einzelnen Geschichten und Schicksale haben bei den StipendiatInnen bleibenden Eindruck hinterlassen. So schreibt Sohela: „Die Führung im KZ Sachsenhausen fand ich sehr interessant. Unsere Gruppe hatte das Thema ‚Wie sich die Gefangenen immer Hoffnung gemacht haben und wie sich quasi „zu Leben“ motiviert haben‘. Nach dem Vortrag und der Führung bin ich drauf gekommen, dass manchmal kleine Sachen sehr groß sind und einen viel weiter bringen, ohne dass man sie wirklich wahrnimmt. So z.B. singen, Gedichte schreiben oder sich drauf freuen endlich einen Brief an die Familienmitglieder zu schicken und ihnen mitteilen, wie es einem geht. Auch wenn die Zeit sehr unerträglich hart gewesen ist.“.
Nach einer längeren Mittagspause konnten sich die StipendiatInnen den frühen Abend frei gestalten, erst abends trafen sich alle im Ballhaus Naunynstraße, einem der ersten postmigrantischen Theater Deutschlands. Am Programm stand das Stück „Mais in Deutschland und anderen Galaxien“, in dem es um Noah, die komplizierten Beziehungen innerhalb seiner Familie, und um Selbstverwirklichung unter dem Druck von politischen Verhältnissen geht. Die Geschichte war sehr vielschichtig und spannend, und bot Stoff für angeregte Diskussionen beim Publikumsgespräch im Anschluss.
„Mir hat das Theaterstück sehr gefallen obwohl ich nicht alles verstanden habe. Auch für die nächsten Jahrgänge wäre es empfehlenswert wenn ein Theater auf dem Programmpunkt stehen würde.“ –Dialeta
„Am Anfang fand ich das Stück ein bisschen verwirrend, aber dann verstand ich das Konzept und die Geschichte dahinter für mich persönlich.“ – Sohela
Am Freitag, dem zweiten Seminartag, besuchten wir morgens den Deutschen Bundesrat. Bei einem Rundgang durchs Gebäude erzählte die Führerin sehr angeregt über das Haus, seine Geschichte und Architektur, sowie über das politische System Deutschlands heute und die Rolle des Bundesrates. Sie schaffte es, bei den StipendiatInnen großes Interesse über die aktuellen politischen Prozesse zu wecken, und so war die Diskussion im Sitzungssaal nach der Führung sehr lebhaft und bereichernd.
„Eine kurze Besichtigung von einer Dame die vor Enthusiasmus und Wissen kaum zu überbieten war, machte diesen Vormittag zu einem der Highlights der Berlin-Exkursion. Keine Überraschung waren die vielen darauf folgenden Fragen zum deutschen Politiksystem.“ – Sasa
Direkt danach machten wir uns auf den Weg zum nächsten Workshop: „with wings and roots: MigrantInnen schreiben Geschichte (neu).“
Die Workshopleiterinnnen arbeiten momentan am Projekt „with wings and roots“, das die Themen Migration, Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit neu denkt. So sollen unter anderem mit einer interaktiven Zeitleiste MigrantInnen in der europäischen Geschichte hervorgehoben, aber auch die bisher erzählte Geschichte neu geschrieben werden, indem bisher ungehörten Menschen und Ereignissen Sichtbarkeit verliehen wird. Zu Beginn zeigten die Leiterinnen den StipendiatInnen den Film zum Projekt und arbeiteten mit ihnen an dem allgemeinen Zeitstrahl weiter, wobei der Schwerpunkt auf historische Ereignisse gelegt wurde, die Einfluss auf Migrationsgeschichten hatten, aber u.a. in Schulbüchern kaum erwähnt werden. Besonders dieser Teil fand großen Anklang bei der Gruppe. Nach der Mittagspause ging es um die persönlichen Lebensgeschichten der StipendiatInnen, die sie anhand selbst gezeichneter Lebenslinien präsentieren konnten. Sich selbst in den Mittelpunkt eines Workshops zu stellen war für einige etwas Neues, trotzdem hat es gut funktioniert: „Bei einigen Programmpunkten waren die Stipendiaten eine Voraussetzung, damit es gut gelingt. Wie z.B.: bei wings&roots. Bei diesem Programmpunkt waren unsere Eindrücke, Erfahrungen und vor allem Geschichten ein ganz wichtiger Bestandteil des Workshops.“, schreibt Rachana dazu.
Nach diesem sehr intensiven Tag hatten die StipendiatInnen abends Freizeit, die unterschiedlich genutzt wurde: Einige gingen shoppen, andere besuchten Museen, gingen in der Stadt spazieren oder genossen einfach die Ruhe und nutzen die Zeit um sich über das bisher in Berlin erlebte auszutauschen und sich besser kennen zu lernen.
Der Freitag stand unter dem Motto „Das geteilte Berlin – Mauern unterwandern, Alltag erfahren“. In der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, einem ehemaligen Stasi-Gefängnis, hatten wir die Möglichkeit von ZeitzeugInnen durch das Gefängnis geführt zu werden und neben historischen Fakten auch ihre persönlichen Geschichten über das Leben in der DDR, Fluchterfahrungen und den Aufenthalt im Gefängnis zu erfahren. Besonders der persönliche Zugang zu Geschichte und die Einzelschicksage haben die StipendiatInnen berührt.
„Die Führung in Stasigefängnis hat mich sehr mitgenommen, weil unser Führer selber viele Jahre ihres Lebens dort gefangen war und auch ihre persönliche Geschichte dazu erzählt hat.“, fasst Sohela ihre Gedanken zum Besuch im Gefängnis zusammen. Rachana betont, dass im Gespräch mit den Zeitzeugen andere Informationen als in der Schule vermittelt wurden: „Von unserem Gruppenleiter habe ich mal etwas anderes zum Hören bekommen obwohl ich Ihm nicht alles nachmachen würde. Trotzdem war es mein Highlight der Woche.“
Nachmittags standen zwei Punkte zur Wahl zur Verfügung: Eine Gruppe fuhr zur East-Side-Gallery, wo ein Zeitzeuge die Geschichten hinter Bildern erzählte, die ab 1990 von 118 KünstlerInnen aus 21 Ländern auf die heute unter Denkmalschutz stehende Mauer gemalt wurden. Sohela: „Besonders gut hat mir die East-Side Gallery gefallen, ein wichtiger Teil der Berliner Geschichte. Die ganzen künstlerischen Zeichnungen und Graphites auf der Mauer finde ich auch sehr bewundernswert und bedeutungsvoll.“ Sasa bezeichnet diesen Tag als seinen Höhepunkt: „Der letzte Seminartag, am Samstag, den wir zuerst beim Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen und danach zur East-Side-Gallery verbracht haben hat mir mitunter am meisten gefallen. Beide Führungen waren sehr interessant gestaltet, denn nicht nur das Inhaltliche konnten die Leiter der Führungen engagiert rüberbringen, sondern auch eine persönliche Sicht zur DDR-Zeit und der Wiedervereinigung wurde uns nicht vorbehalten.“
Die andere Hälfte machte bei einem Spaziergang durch das Zentrum Ost-Berlins mit, der vom DDR-Museum veranstaltet wurde. Dabei wurden an authentischen Orten Geschichte und Geschichten aus dem Lebensalltag der DDR-BürgerInnen vermittelt. Obwohl es dabei leider geregnet hat, ist Trinh der Rundgang positiv in Erinnerung geblieben: „Berlin ist trotz der Geschehnisse der Vergangenheit eine sehr schöne und aufregende Stadt. Die Geschichten und Orte kennen zu lernen hat mir persönlich am besten gefallen!“.
Den Abschluss bildete ein gemeinsames Abendessen im Hostel, bei dem wir die Woche nochmal Revue passieren ließen und offene Fragen beantwortet werden konnten. Außerdem holte sich das Team Anregungen und Tipps für die Reise im nächsten Jahr. Auch am Sonntag gab es keine organisierten Programmpunkte mehr, und so konnten wir die Reise noch bei einem gemütlichen Spaziergang zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten im Zentrum Berlins und Souvenir-Shopping ausklingen lassen.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Reise trotz wenig Schlaf und sehr dichtem Programm ein voller Erfolg war, die den StipendiatInnen noch lange in Erinnerung bleiben wird:
„Die Berlinreise hat mir fundiertes Wissen über den 2 Weltkrieg, das Leben in der Nazizeit und in der DDR nähergebracht. Noch dazu hatte ich die Möglichkeit eine sehr schöne Stadt, als die sich Berlin darstellte, zu erleben. Doch abgesehen vom Sightseeing und den Seminartagen hat es mir sehr gefallen das ich die Stipendiaten und Stipendiatinnen aus den anderen Bundesländern noch besser kennenlernen durfte und Inspirationen von den verschiedenen Persönlichkeiten, die die Stipendiaten und Stipendiatinnen haben, sammeln konnte.“ – Sasa
„Die Seminarwoche war eines der informativsten und lehrreichsten Seminare bisher. Obwohl ich schon einiges aus dem Geschichtsunterricht wusste, ist es trotzdem anders alles an den Orten zu erfahren, wo es stattgefunden hat.“ – Mahrukh
„Obwohl es nicht mein größter Wunsch war, meinen Geburtstag in einem ehemaligen Stasi-Gefängnis zu verbringen, erlebte ich dort vor Ort eine der mich am meist berührenden Erfahrungen mit Geschichte. Ich werde diese wenigen Tage voller Eindrücke und lebendiger Geschichte in Berlin nie vergessen.“ – Rosario
„Es hat mich besonders gefreut, so vieles über die Geschichte Deutschlands zu erfahren und dieses neu gewonnene Wissen mit meinen Mitstipendiaten zu teilen. Diese Reise gehört aus jeden Fall zu den Punkten meines Lebens, welche ich nicht missen will.“ – Teo